Das nordrhein-westfälische Gesetz zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

  1. April 2020

Auf immer mehr Feldern zwingt die COVID-19-Seuche den Gesetzgeber aktiv zu werden. Nun hat der Landtag in Nordrhein-Westfalen am 14. April 2020 ein umfangreiches Gesetzespaket verabschiedet (Gesetz- und Verordnungsblatt NRW Ausgabe 2020 Nr. 12b vom 14.4.2020 S. 217b bis 244b), das den etwas sperrigen Namen „Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie“ – im Folgenden „Pandemiegesetz“ – trägt.

 

Inhaltliche Übersicht

Schnürt man das Gesamtpaket des Gesetzes auf, finden sich im Wesentlichen drei Teile:

  1. Den ersten und vermutlich am meisten Aufsehen erregenden Part bildet das neue „Infektionsschutz- und Befugnisgesetz - IfSBG-NRW“, welches den Artikel 1 des Pandemiegesetzes ausmacht. Das Land regelt hier Zuständigkeiten und schafft sich vor allem recht weitreichende neue Befugnisse zu Pandemiebekämpfung.
  2. Den zweiten Teil bilden die verschiedenen Verfahrensänderungen, die für eine Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Organen zukünftig gelten; teilweise wird auch die Amtszeiten bestimmter Organe verlängert. Das Land will damit verhindern, dass Gremien beschlussunfähig werden, weil sie wegen seuchenrechtlicher Beschränkungen nicht mehr zusammentreten dürfen (Artikel 4 – 8a; 10 – 17; 21 des Pandemiegesetzes).
  3. In der dritten Gruppe der neuen Regelungen geht es um finanzielle Fragen. Begünstigt werden die Kommunen, die von bestimmten haushaltsrechtlichen Beschränkungen suspendiert werden wie auch die Träger bestimmter Bildungseinrichtungen, deren weitere Finanzierung gesichert werden soll (Art. 9, 18, 19, 22 Pandemiegesetz).

 

Im Folgenden wird vor allem auf das neue IfSBG NRW, daneben auch auf die Verfahrensänderungen in verschiedenen anderen Bereichen eingegangen.

 

Das neue Infektionsschutz- und Befugnisgesetz - IfSBG NRW

Den Kern des Pandemiegesetzes bildet das neue IfSBG NRW. In seinem ersten Abschnitt regelt es Zuständigkeiten der Seuchenbekämpfung und entspricht dabei weitgehend der bis dato geltenden "Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz - ZVO-IfSG" vom 28. November 2000. Allerdings wurden zur Entlastung kleinerer Gemeinden und um regional oder landesweit einheitliche Vorgaben schaffen zu können, in § 3 Abs. 2 IfSBG NRW entsprechende Kompetenzen für die Kreise und die oberste Landesbehörde (d.h., das für Gesundheit zuständige Landesministerium) eingeführt. Diese können künftig auch selbst Maßnahmen nach dem IfSG treffen, wenn es aus Gründen der Abwehr von Seuchengefahren geboten erscheint.

Der zweite Abschnitt enthält die Befugnisse zur Bekämpfung einer epidemischen Lage von landesweiter Tragweite für das Land Nordrhein-Westfalen.

Alle Eingriffsbefugnisse des IfSBG NRW setzen voraus, dass der Landtag eine solche epidemische Lage nach § 11 Abs. 1 S. 1 IfSBG NRW feststellt, weil sich eine „bedrohliche[.] übertragbare[.] Krankheit“ im Land ausbreitet. Zuständig für die Ausübung dieser Befugnisse ist gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 IfSBG NRW das für das Gesundheitswesen zuständige Ministerium. Hebt der Landtag die Feststellung der epidemischen Lage wieder auf, treten damit auch die zu ihrer Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen nach dem IfSBG NRW außer Kraft. Zudem ist eine Feststellung nur zwei Monate lang wirksam und muss danach erneuert werden. So ist sichergestellt, dass das Parlament für die Maßnahmen, die stark in die Grundrechte der Bürger einschneiden können, die letzte Verantwortung trägt.

 

  • Die Befugnisse nach dem IfSBG NRW richten sich zunächst auf den Bereich der Krankenhäuser: Der Gesundheitsminister kann gemäß § 12 Abs. 1 und 2 IfSBG durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Landtages gegenüber den Krankenhausträgern, den Privatkrankenanstalten und den Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen unter anderem die Schaffung zusätzlicher Behandlungskapazitäten, die Organisation medizinischer Behandlungen, Meldepflichten und sogar die „Verschiebung elektiver Eingriffe“ anordnen. Besonders letztere Maßnahme greift nicht nur erheblich in die Sphäre der Krankenhausbetreiber, sondern auch in diejenige der behandelnden Ärzte und vor allem der betroffenen Patienten ein.
  • Nach § 13 IfSBG kann das Gesundheitsministerium auch gegenüber den übrigen Beteiligten des Gesundheitswesens anordnen, sich innerhalb der vom Ministerium vorgegebenen Untersuchungs- und Versorgungsstrukturen daran zu beteiligen, Aufgaben nach dem IfSG wahrzunehmen. Zudem enthält Satz 1 der Norm eine offenbar noch weitergehende Generalermächtigung, gegenüber den Beteiligten des Gesundheitswesens „notwendige Anordnungen“ treffen zu können.
  • Weiterhin können die nach § 3 IfSBG NRW zuständigen Behörden aufgrund einer Rechtsverordnung des für Gesundheit zuständigen Ministeriums gem. § 14 Abs. 1 S. 1 IfSBG NRW gestützt auf § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IfSBG NRW medizinisches, pflegerisches und sanitäres Material, die zugehörigen Rohstoffe sowie medizinische und pflegerische Geräte „beschlagnahmen und verwerten“. Dies gilt allerdings nicht gegenüber Verbrauchern im Sinne von § 13 BGB. Zudem kann die oberste für Gesundheit zuständige Landesbehörde (gem. § 5 Abs. 2 Nr. 3 Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst ist dies das Gesundheitsministerium) nach Abs. 3 entsprechende Meldepflichten
  • In einer Rechtsverordnung des Gesundheitsministeriums gem. § 14 Abs. 1 S. 1 IfSBG NRW können auch Materialien oder Materialgruppen benannt werden, für welche die nach § 3 IfSBG NRW zuständigen Behörden gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 IfSBG NRW gegenüber jedermann Verbote erlassen können, „sich zu ihrer Überlassung zu verpflichten bzw. Dritten den Besitz zu verschaffen“.
  • Für das beschlagnahmte oder von Überlassungsverboten nach § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 IfSBG NRW betroffene Material kann ein Verkaufs- und Überlassungsgebot gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 IfSBG zugunsten eigens zu bestimmender juristischer Personen erlassen werden. Der festzusetzende Preis hat sich an dem üblichen Verkaufspreis zum Zeitpunkt der Maßnahme zu orientieren.

Mit der Palette möglicher Maßnahmen nach §§ 12 bis 14 IfSBG NRW sichert sich das Land den Zugriff auf die personellen und sachlichen Ressourcen des Gesundheitswesens und auf bestimmte Sachmittel auch außerhalb des Gesundheitswesens.

Dabei hat der Gesetzgeber erkannt, dass es sich dabei um weitgehende Eingriffe unter anderem in das Grundrecht auf Eigentum in Form sogenannter „Inhalts- und Schrankenbestimmungen“ nach Art. 14 GG Abs. 1 S. 2 GG handelt und dementsprechend Entschädigungsansprüche vorgesehen. Diese sollen greifen für den Fall, dass die Maßnahmen enteignende Wirkung entfalten. Eine solche Entschädigungsbestimmung findet sich an zwei Stellen im IfSGB NRW, nämlich in § 14 Abs. 2 S. 1 bezogen auf Maßnahmen nach §14  Abs. 1 dieser Norm sowie ein zweites Mal allgemein bezogen auf sämtliche Maßnahmen nach dem IfSGB NRW in § 16 Abs. 2 des Gesetzes.

Zudem findet sich in § 12 Abs. 3 IfSBG NRW eine Vorschrift, die offenbar im Gesetzgebungsprozess „verwaist“ ist: „Der Anspruch richtet sich auf den entgangenen Gewinn unter Anrechnung sämtlicher Vor- und Nachteile.“ Diese Vorschrift ergibt im Kontext von § 12 IfSBG NRW keinen Sinn, sondern soll wohl einen Entschädigungsanspruch dem Umfang nach bestimmen. Bezogen auf einen Anspruch auf Entschädigung für enteignungsgleiche Eingriffe wäre die Vorschrift auch sinnvoll, da dieser Anspruch normalerweise gerade den entgangenen Gewinn als entschädigungspflichtige Position ausschließt. Geht man vom gegenwärtigen Textbestand des Gesetzes aus, könnte sich § 12 Abs. 3 IfSBG NRW aus systematischen Gründen auf die spezielle Entschädigungsvorschrift des § 14 Abs. 2 S. 1 für Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 IfSBG NRW beziehen sollen, denn dies würde auch die ansonsten überflüssige Doppelung der Entschädigungsvorschriften erklären. Letztlich muss aber wohl der Gesetzgeber eine Korrektur vornehmen, um Klarheit zu schaffen.

 

Verfahrensänderungen

Auch für den öffentlich-rechtlichen Bereich stellt sich - wie in den privatrechtlichen Vereinigungen - das Problem, dass Gremien wegen der Kontaktbeschränkungen aufgrund der COVID-19-Seuche nicht zusammentreten und damit keine Beschlüsse fassen können. Damit die betroffenen Gremien weiterhin handeln können, hat der Gesetzgeber eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, die hier nur in Auszügen vorgestellt werden.

So wird beispielsweise für die Gemeinden die Möglichkeit von Dringlichkeitsbeschlüssen der Hauptausschüsse nach § 60 GO NRW auch auf epidemische Lagen nach § 11 IfSBG NRW ausgeweitet. Unter derselben Voraussetzung können in den Kreisen gemäß dem neugefassten § 50 Abs. 3 S. 2 und 3 KreisO NRW Kompetenzen des Kreistages auf die Kreisausschüsse übertragen werden.

Durch § 23 Abs. 1 S. 3 und 4 Landespersonalvertretungsgesetz wird die Amtszeit bestehender Personalvertretungen bis zu einer Neuwahl verlängert, längstens zum 30. Juni 2021. Zugleich ermöglicht der neue § 33 Abs. 3, dass die Personalräte ihre Beschlüsse auch im Umlaufverfahren oder auf elektronischem Wege fassen können.

Weiterhin wird in der BauO NRW durch den neuen § 87 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 eine bis zum Ende des Jahres 2020 befristete Rechtsverordnungsermächtigung geschaffen, um Abweichungen von Schriftformerfordernissen oder Fristen im Baugenehmigungsverfahren zu ermöglichen, die primär der Erleichterung von Entscheidungen dienen soll.

 

Insgesamt geht das Pandemiegesetz auf viele Bedürfnisse nach Änderung von landesrechtlichen Vorschriften im Zuge der Corona-Krise ein.

Auffällig ist aber, dass der Bereich der Schulen ausgeklammert wurde. Im Gesetzesentwurf zum Pandemiegesetz war ursprünglich (vgl. LT DrS 17/8920) im damaligen Art. 10 zwar das „Bildungssicherungsgesetz“ vorgesehen, welches Abweichungen von den schulischen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen ermöglichen sollte, dann aber im Zuge des weiteren Gesetzgebungsverfahrens vollständig gestrichen wurde. Auf diesem Feld sind für die Zukunft noch Änderungen zu erwarten.

Zur Linderung der wirtschaftlich teilweise erdrückenden Lasten der vielfältigen Infektionsschutzmaßnahmen enthält das Pandemiegesetz nur wenig. Wer etwa im Gesundheitswesen von seuchenschutzrechtlichen Anordnungen betroffen ist, sollte jedoch in die Entschädigungsregelungen des IfSBG NRW blicken und sich eventuell rechtlich beraten lassen.

 

Den Beitrag zum Download finden Sie hier:

Ansprechpartner