Kleinere Parteien siegen mit LLR gegen den baden-württembergischen Landtag und erzwingen damit coronabedingte Änderungen des Landtagswahlrechts!

Köln, 10. November 2020

Mit einem Paukenschlag endete gestern Nachmittag die mündliche Verhandlung fünf kleinerer Parteien – vertreten von dem Verfassungsrechtler RA Dr. Sebastian Roßner aus der Kanzlei LLR in Köln – vor dem Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg.

Mit seinem Urteil vom 09. November 2020 (Az.: 1 GR 101/20) gab der Verfassungsgerichtshof dem Antrag der fünf kleineren Parteien statt und entschied, dass der Landtag die Antragsteller in ihrem Recht auf Chancengleichheit dadurch verletzt hat, weil er es bislang unterlassen hat, das Erfordernis, 150 Unterstützungsunterschriften in jedem Wahlkreis für einen Wahlvorschlag beizubringen, an die anhaltende Sars-CoV-2-Pandemie anzupassen. Jetzt muss der Landtag in Stuttgart rasch tätig werden.

Am 16. September 2020 hatten sich die baden-württembergischen Landesverbände von Die Linken, Freie Wähler, ÖDP, DIE PARTEI und der Piratenpartei an den Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg gewandt. In einem Organstreitverfahren machten sie geltend, der Landtag habe die Voraussetzungen für eine Zulassung noch nicht im Landtag vertretener Parteien zur Landtagswahl im März 2021 nicht an die schwerwiegenden Beeinträchtigungen durch die COVID-19-Pandemie angepasst und dadurch den politischen Wettbewerb zu Gunsten der im Landtag vertretenen Parteien verzerrt, was verfassungswidrig sei. Denn unverändert werden je 150 Unterschriften in jedem der 70 Wahlkreise, insgesamt also 10.500 Unterstützungsunterschriften für eine landesweite Wahlzulassung verlangt , obwohl Unterschriftensammlungen unter Corona-Bedingungen erheblich erschwert sind.

Mit Urteil vom 9. November 2020 (Az.: 1 GR 101/20) gab der Verfassungsgerichtshof dem Antrag der fünf kleineren Parteien statt. Er entschied, dass der Landtag die Antragsteller in ihrem Recht auf Chancengleichheit dadurch verletzt hat, dass er es bislang unterlassen hat, das Unterschriftenquorum an die anhaltende Sars-CoV-2-Pandemie anzupassen.

So geht der Verfassungsgerichtshof in Übereinstimmung mit den Antragstellern davon aus, dass die herkömmliche Art des Sammelns der Unterstützungsunterschriften im Wege der direkten Ansprache von Personen auf Straßen und Plätzen sowie an der Haus- und Wohnungstüre seit Ausbruch der Pandemie deutlich weniger erfolgversprechend ist. Es liegt auf der Hand und entspricht der derzeitigen allgemeinen Lebenserfahrung, dass in der Pandemie-Situation deutlich mehr Personen schon dem Versuch einer Kontaktaufnahme aus dem Weg gehen. In der Folge müssen deutlich mehr Personen angesprochen werden, obwohl der öffentliche Raum seit Pandemiebeginn auch häufig von weniger Personen als zuvor frequentiert wird und Veranstaltungen, in deren Zusammenhang um Unterschriften gebeten werden kann, nicht oder mit weniger Besuchern stattfinden.

Der Stuttgarter Landtag muss nun zügig das Landtagswahlrecht ändern. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs muss die neue so wirken, dass die pandemiebedingte gesteigerte Beeinträchtigung des Rechts auf Chancengleichheit jedenfalls kompensiert wird. In Anbetracht des kurzen Zeitraums, der für eine Neuregelung zur Verfügung steht, hat der Verfassungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass er, sollte sich der Landtag für eine Verringerung des Unterschriftenquorums und nicht für eine andere denkbare Art der Kompensation entscheiden, nach dem derzeitigen Erkenntnisstand unter Berücksichtigung möglicher weiterer gradueller Verschärfungen der Schutzmaßnahmen jedenfalls bei einer Reduzierung um 50 Prozent keinen Anlass für eine erneute verfassungsrechtliche Beanstandung sähe.

Die obsiegenden fünf Landesverbände der Parteien wurden von der Sozietät LLR in Köln unter der Federführung des Staats-, Verfassungs- und Parteienrechtlers Dr. Sebastian Roßner vertreten.