Alte Meister, neue Schranken:  Wer hat das Recht am kulturellen Erbe?

Wer kulturelles Erbe bewahrt, will es auch schützen – doch wie weit darf dieser Schutz reichen? Italienische Museen fordern zunehmend kommerzielle Nutzungen gemeinfreier Meisterwerke wie Botticellis „Venus“ oder da Vincis „Vitruvianischer Mensch“ zu unterlassen. Anlässlich des UNESCO Welterbetags beleuchten die Fachanwälte von LLR., wie das italienische Kulturgüterschutzgesetz zum Hebel internationaler Unterlassungsansprüche wird und wo europäisches Recht die Grenzen setzt. Ein Einblick in maßgebliche Präzedenzfälle, rechtliche Widersprüche und die Frage: Wem gehört das kulturelle Vermächtnis Europas?

iStock.com/StockSeller_ukr – Gehört Kulturerbe uns allen?

Seit einigen Jahren mehren sich die europäischen Länder, die den Schutz ihres kulturellen Erbes vor vermeintlich unrechtmäßiger kommerzieller Nutzung auch verstärkt rechtlich durchsetzen wollen.

Insbesondere das italienische Ministero della Cultura (MiC) geht gemeinsam mit einzelnen italienischen Museen durch Unterlassungsansprüche auf der Grundlage des italienischen Kulturgüterschutzgesetzes gegen die kommerzielle Nutzung italienischer Kulturgüter vor. Dazu zählen etwa Drucke neuzeitlicher Fresken, Zeitungen mit bearbeiteten Bildern antiker Statuen oder Puzzle der Zeichnungen großer Denker.

Bislang machten das italienische Kulturministerium und Museen derartige Ansprüche territorial beschränkt auf das Gebiet Italiens geltend. In den vergangenen Jahren strebte die Republik Italien jedoch des Öfteren an, die Ansprüche aus dem eigenen Kulturgüterschutzgesetz auch im Ausland durchzusetzen. Damit stellt sich die Frage der territorialen Reichweite des italienischen Kulturgüterschutzgesetzes, einschließlich seiner Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, wie etwa europäischem.

Der italienische CBC – ein Gesetz mit universeller Geltung?

Das italienische Kulturgüterschutzgesetz Codice dei beni culturali e del paesaggio  (CBC) – sinngemäß Kodex der Kultur- und Landschaftsgüter – ist ein Gesetz, das den Schutz des kulturellen und landschaftlichen Erbes Italiens regelt. Auf seiner Grundlage versuchten italienische Behörden und Museen in mehreren Verfahren, die kommerzielle Nutzung von Abbildungen bekannter Kunstwerke zu kontrollieren.

Im ersten Fall klagte die Galleria degli Uffizi gegen das französische Modehaus Jean Paul Gaultier. Grund war eine Modekollektion mit dem Bildausschnitt aus Botticellis „Geburt der Venus“. Die Uffizien fordern Unterlassung, Rückruf und Lizenzgebühren.

Im zweiten Fall verklagte die Galleria dell’Accademia di Firenze den Verlag Conde Nast wegen eines Magazin-Covers mit einer digitalen Überblendung des Gesichts von Michelangelos „David“. Das Gericht sprach der Galerie Schadenersatz zu und betonte den Missbrauch des Kunstwerks für kommerzielle Zwecke.

Im dritten Fall ging die Accademia di Venezia gemeinsam mit dem italienischen Kulturministerium gegen Ravensburger vor. Das Unternehmen hatte ein Puzzle mit dem „Vitruvianischen Mensch“ von Leonardo da Vinci verkauft. Die Museen forderten eine weltweite Lizenzpflicht. Diese Forderung konnte vor ausländischen Gerichten jedoch nicht standhalten: Während ein italienisches Gericht im Verfügungsverfahren dem zunächst stattgab, entschied das Landgericht Stuttgart später in der Hauptsache, dass das italienische Gesetz nur in Italien gilt – ein weltweiter Lizenzanspruch sei nicht durchsetzbar. Der Grund dafür ist simpel: Die Republik Italien hat keine Gesetzgebungskompetenz außerhalb des eigenen Staatsgebiets.

Zudem bestehen Zweifel an der Vereinbarkeit des CBC mit EU-Recht, insbesondere der Richtlinie zur Schutzdauer von Urheberrechten. Diese sieht eine maximale Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers vor. Das CBC hingegen gewährt Museen ein dauerhaftes exklusives Nutzungsrecht, was einem „Urheberrecht ad infinitum“ gleichkommt.

„Kunst hat die Aufgabe wachzuhalten, was für uns Menschen so von Bedeutung und notwendig ist“

~ Michelangelo

Während das Anliegen, kulturelle Identität zu bewahren und wirtschaftlich zu nutzen, nachvollziehbar ist, stößt es dort an Grenzen, wo es mit harmonisiertem EU-Recht kollidiert – insbesondere mit der urheberrechtlichen Schutzdauer von 70 Jahren nach dem Tod des Schöpfers. Ein dauerhaftes Vervielfältigungsmonopol für gemeinfreie Werke widerspricht dieser Regelung und gefährdet die Rechtssicherheit im Binnenmarkt. Die bisherigen Urteile zeigen: Nationalstaaten dürfen kulturelles Erbe schützen – aber nicht um den Preis grenzüberschreitender Rechtsdurchsetzung ohne klare unionsrechtliche Grundlage. Das kulturelle Erbe Europas ist reich und vielfältig – sein rechtlicher Schutz muss ebenso interessensgerecht wie rechtsstaatlich verankert sein.

Höchste Kompetenz im internationalen Kulturgüterrecht

Dr. Markus T. Bagh, LL.M.

Markus Bagh war Prozessbevollmächtigter der Klägerin Ravensburger vor dem Landgericht Stuttgart. In allen Bereichen des geistigen Eigentums berät Markus Bagh umfassend. Einen Schwerpunkt bilden die Entwicklung von Schutzstrategien und die Führung von Verletzungsverfahren, insbesondere im Marken-, Design- und Wettbewerbsrecht. Zudem setzt er in einem Netzwerk internationaler Anwaltskollegen weltweit Maßnahmen zur Bekämpfung von Produktpiraterie um, einschließlich der Steuerung von Grenzbeschlagnahmeverfahren und der Durchführung von Messeeinsätzen. Im Bereich des Urheber- und Medienrechts liegt sein Schwerpunkt auf E-Commerce, E-Advertising und Reputationsschutz.

Über die Reichweite des italienischen Kulturgüterschutzgesetzes publizierte Markus Bagh 2024 einen Beitrag in der Fachzeitschrift „Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in der Praxis“.

Autor

Fachanwalt für gewerblichen RechtsschutzFachanwalt für Urheber- und Medienrecht