Verfassungsgerichtshof Berlin setzt Normen zu Corona-Geldbußen teilweise aus

26. Mai 2020

Um die umfangreichen und sich immer mehr ausdifferenzierenden Infektionsschutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des SARS-CoV-2 Erregers durchzusetzen, greifen die Länder auf das Mittel zurück, bestimmte Verstöße als Ordnungswidrigkeiten zu ahnden und mit Bußgeldern zu belegen (siehe dazu den Beitrag zu Bußgeldern nach der nordrhein-westfälischen CoronaSchVO). Die Hoffnung dabei ist, dass bereits die Bußgelddrohung als solche viele Menschen dazu bewegen wird, sich an die Beschränkungen zu halten. Allerdings gibt es diesen Effekt einer quasi kostenlosen Einschärfung von Normen mittels der Androhung von Bußgeldern nicht ohne, sich vorher um eine präzise Normsetzung bemüht zu haben.

Dies hat am 20. Mai 2020 der Verfassungsgerichtshof Berlin in einem Beschluss (Az. 81 A/20, abzurufen über Link auf dieser Seite) festgestellt, der am 26. Mai publiziert wurde.

Das Gericht hatte im Eilverfahren im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde darüber zu entscheiden, ob eine Reihe von Normen der „Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin“ (SARS-CoV-2-EindmaßnV Berlin) bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Kraft zu setzen seien.

In den meisten Punkten lehnte der VerfGH den Eilantrag ab, gab dem Antragsteller jedoch Recht, soweit die in § 24 SARS-CoV-2-EindmaßnV Berlin geregelten Bußgeldtatbestände betroffen waren, die sich auf Verstöße gegen § 1 S. 1 und 2 der genannten Norm beziehen. Dort ist zu lesen „Jede Person hat die physisch sozialen Kontakte zu anderen Menschen auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Bei Kontakten im Sinne von Satz 1 ist ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten, soweit die Umstände dies zulassen.“ Verstöße gegen diese Verhaltensgebote werden nach § 24 SARS-CoV-2-EindmaßnV Berlin mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 Euro geahndet.

Um diese Normen im Eilverfahren zu überprüfen, griff das Gericht auf das dafür im Verfassungsrecht übliche Verfahren der sogenannten Doppelhypothese zurück. Das Gericht wägt dabei die Konsequenzen, die entstehen, wenn im Eilrechtsschutz dem Antrag stattgegeben wird, die Verfassungsbeschwerde aber erfolglos bleibt, mit den Folgen ab, die sich ergeben, falls umgekehrt der Eilrechtsschutz versagt wird, die Verfassungsbeschwerde aber letztendlich Erfolg hat.

Ungewöhnlich ist, dass – anders als sonst üblich – der Verfassungsgerichtshof Berlin die genannten Normen innerhalb des Verfahrens der Doppelhypothese darauf überprüfte, ob sie rechtmäßig sind. Denn normalerweise dient die Doppelhypothese, die auf die Folgen einer Entscheidung gerade dazu, im Eilverfahren der meist zeitaufwendigen Überprüfung der Rechtmäßigkeit aus dem Weg zu gehen.

Im vorliegenden Fall aber muss es für das Gericht offensichtlich gewesen sein, dass die außer Kraft gesetzten Normen rechtswidrig sind. In einem solchen Fall kann die Anwendung der Doppelhypothese kaum zu einem anderen Ergebnis führen, als die fragliche Norm außer Kraft zu setzen.

Zu dem Ergebnis, die Normen seien rechtswidrig, kam das Gericht wegen eines Verstoßes gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot. Dieses gilt im Land Berlin nach Art. 15 Abs. 2 der Landesverfassung, welche Norm wortgleich mit Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz ist. Es bezieht sich nach nahezu einhelliger Ansicht auch auf das Ordnungswidrigkeitenrecht und besagt, dass „die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen“ (BVerfGE 92, 1 (12)).

Für die in § 1 S. 1 und 2 SARS-CoV-2-EindmaßnV Berlin als Merkmale des Ordnungswidrigkeitentatbestands verwandten Begriffe „physisch soziale Kontakte“, „absolut nötiges Minimum“ und „soweit die Umstände dies zulassen“ ging der VerfGH Berlin davon aus, dass sie derart vage seien, dass sie die betroffenen Bürger nicht in ausreichender Weise in die Lage versetzten, zu erkennen, welches Verhalten bußgeldbewehrt ist und kamen so zu dem Verdikt der mangelnden Bestimmtheit.

Dem Urteil muss Beifall gezollt werden, denn obwohl der Normgeber auch beim Erlass von Straf- oder Ordnungswidrigkeitenvorschriften durchaus unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden darf, so muss doch hinreichend scharf umrissen sein, welches Verhalten unter Androhung von Strafe verboten ist. Dies gilt auch ungeachtet dessen, dass die Verordnungsgeber angesichts der Pandemie unter großem Zeitdruck agieren: Im Zweifel kann zunächst auch auf einen Ordnungswidrigkeitentatbestand verzichtet werden, bis genügend Zeit zum Nachdenken war.

Wer von Bußgeldern im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Seuchenschutzmaßnahmen betroffen ist, sollte daher prüfen, ob ihm der Inhalt des verletzten Ge- oder Verbots klar war oder bei einigem Nachdenken klar hätte sein können. Falls nicht, ist über eine Klage gegen die Geldbuße nachzudenken.

 

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